Neben dem Eckhaus, in dem ich große geworden bin, ging eine abartig steile Straße hoch – so richtig Strassen von San Francisco-mäßg steil.

Auf dieser Straße hatte sich ein kleines Taxi-Unternehmen mitten in einem Wohngebiet angesiedelt. Ich erinnere mich bis heute an das Geräusch, dass der 1975er 220D macht, wenn man die kalte Maschine mitten in der Nacht startet.

Klar auch: Was anderes als 220D kam hier nicht ins Haus – später auch 240D im W123, dann 200D im W124, weil der exakt die gleiche Leistung hatte.

1988 gesellte sich ein neues Geräusch hinzu: der Nasenbär. Der vermutlich hässlichste Passat, den es bis dahin gab, verfügte über eine brutale Eigenschaft: Platz auf der Rückbank. Der Raum, den der Wagen vor der Rückbank zur Verfügung stellte, war damals schier verwirrend groß.

Eines Mittags musste ich während meiner Latein-Hausaufgaben folgende Szene beobachten: Der Taxifahrer setzt sich in den Passat, fährt los. Kurze Zeit später kehrt der Mann zurück, rennt hektisch rein, kommt mit anderem Schlüssel wieder raus und fährt mit dem 124er Benz wieder los.

Was war geschehen?

Eine ältere Dame hatte sich geweigert, mit einer „Droschke ohne Stern“ zu fahren (!) und hatte sich lieber in den Benz quetschen wollen, statt in den ausufern luxuriösen Platzverhältnissen des Passats Platz zu nehmen.

Bemerkenswert.

Nun hat Mercedes in einem Brief an das Taxigewerbe angekündigt, die E-Klasse ab dem Modellwechsel in ’23 nicht mehr als Taxi anzubieten. Das „Ausweich-Modell“ B-Klasse, fällt ebenso dem Rotstift für das Taxigewerbe zum Opfer. Man denke über neue Taxi-Konzepte nach, lässt das Stuttgarter Stammhaus verlauten und hüllt sich ansonsten in Schweigen.

Ein Aufschrei geht durch die Reihen deutscher Taxifahrer! Das ist ja beinahe, als würde man in Großkantinen keine Currywurst mehr anbieten 😉 Taxiverbände laufen Sturm oder Amok – das ist in Teilen schwer zu unterscheiden. Angeblich wird der Mercedes-Chef persönlich mit Briefen bombardiert, die den Wegfall des Modells als katastrophal und sogar unverantwortlich einstufen. LOL

Ist das eigentlich noch gerechtfertigt?

Man könnte fast meinen, Mercedes inszeniert die Geschichte, um sich ins Gespräch zu bringen. Lag der Marktanteil von Mercedes Anfang des Jahrtausends noch bei fast 80 % im Taxi-Business in Deutschland, so ist der Anteil mittlerweile auf rund 50 % zurückgegangen. Tendenz: weiter sinkend. Mercedes ist längst kein Quasi-Standard mehr. Und wenn Mercedes, dann ist es auch nicht immer die E-Klasse. Hier hat sich die Fahrzeug-Kultur schon lange gewandelt.

Das Phänomen war ohnehin vorwiegend Deutsch, in Grenzen noch ein österreichisches. In UK war das London-Taxi immer schon der Standard der großen Städte. In einem Land, in dem vor allem E-Motorisierung in den wichtigsten Teilen der Hauptstadt seit Jahre eine wichtige Rolle spielt, war Mercedes lange Zeit nicht mal lieferfähig. Auf dem Schweizer Taximarkt ist der Anteil von Toyota seit Jahren hoch, auch Subaru spielt hier eine gewisse Rolle.

Der Prius ist in Zürich der Quasi-Standard geworden – generell ist der in vielen Gegenden ein beliebtes Taxi geworden und Taxifahrer lieben es, über ihn zu plaudern und all die lustigen Anzeigen vorzuführen. Wer plaudert über einen 220D?

Wer sind die Taxi-Absahner in Deutschland?

Anfang des Jahrtausends hatte Opel einen kleinen Höhenflug mit dem Vectra C und vor allem auch mit dem Signum, der mit seiner nach hinten versetzten  Rückbank tatsächlich versprach, ein attraktives Taxi zu sein. Die Macken der Serie bezüglich Lichtsteuerung und ähnlichem Kram töteten die Begeisterung nachhaltig. Der Nachfolger war in allen Dimensionen zu klein und stieß auf Ablehnung. Die Qualitätsthemen rissen den Zafira-Van leider gleich mit in den Abgrund – obwohl dessen Taxi-Eignung wahrlich hoch erschien.

Der wahre Sieger ist – wie so oft – die Volkswagen-Gruppe. Der Touran eignet sich als Taxi, der Sharan fast noch mehr, obwohl man den selten sieht – wenn, dann typischerweise an den großen Flughäfen, wo gerade Familien mit 62 Sporttaschen begeistert auf ihn zustürzen, weil sie wissen: In den Kofferraum der E-Klasse passen die keinesfalls…

Der Skoda Superb bietet sich mit fürstlichen Platzverhältnissen ebenso an – der Octavia aufgrund seiner brutalen Preiswürdigkeit. Die bringt auch andere Player ins Spiel: Im Osten Deutschlands sieht man oft auch Dacia als Taxen. Wer da jetzt die Nase rümpft, Qualität oder Eignung anzweifelt, dem sei ein Besuch in Städten wie Vilnius, Tallinn oder Warschau angeraten…

Unzweifelhaft: Das bessere Raumkonzept. Ein exklusiv für das Gewerbe produziertes Fahrzeug bietet andere Möglichkeiten – auch im Bereich der Elektrifizierung

Was ist da eigentlich schiefgelaufen?

Spricht man mit Taxifahrern, lachen die oft laut los – ganz im Speziellen auch die, die in einem Stern-veredelten Gefährt unterwegs sind.

„Zu viel Technik-Scheiß!“, erläutert uns ein Münchner Kutscher und klickt auf dem Bildschirm in der Mitte herum. „Hier wird dir jeden dritten Tag was angezeigt, was gerade mal wieder nicht geht. Und das heißt immer: Ich muss zum Chef gehen und sagen, dass das Ding in die Werkstatt muss und mir anhören, dass ich zu grob gefahren bin, weil die Dinger sonst nie kaputtgehen.“ Er zwinkert vielsagend. „Nie…“

Ein Frankfurter Fahrer sagt uns, dass er den W213 sehr bewusst nicht gekauft hat. „Der Wagen ist zu tief, die Dachlinie ist schon seit dem W211 so abgeschnitten, dass ältere Leute sich den Kopf stoßen. Da ist ein Touran die bessere Wahl. Alte Leute hassen die E-Klasse mittlerweile. Da muss ich oft ums Auto rum und denen raushelfen.“

Wir erwischen einen Dacia-Fahrer in Erfurt, mit dem wir eine ungewollt weite Strecke fahren müssen. Der fährt zwar wie ein Russe, macht aber einen Festpreis fern des Taxameters und bestätigt uns auf der langen Fahrt die Perspektive. „Nach Mercedes hatten wir Toyota. Die waren gut – aber die haben keine attraktiven Autos mehr. Ein SUV kommt als Taxi einfach nicht infrage.“ Und so ist es dann der Dacia Van geworden, „…in den einfach alles reinpasst. Viele Leute schauen sich beim Einsteigen um und rümpfen die Nase – das stimmt schon. Aber der Wagen kann alles und kostet pro Kilometer soviel weniger, dass wir über Mercedes nicht mehr nachdenken müssen. Kann sein, dass die seltener kaputtgehen – aber wenn, dann ist es so teuer, dass es den Vorteil auffrisst. Und Kleinigkeiten kosten irre viel.“

Dann zeigt er auf den Tacho des Dacia. „284.000 Kilometer – ist doch nicht schlecht, oder? Der nächste wird ein Dacia Dokker – mit unlackierten Stoßstangen! Bekommt man bei Mercedes gar nicht mehr. Und da kannst du auch mal was tauschen, wenn es sein muss – bekomme sogar ich hin.“

Mit dem Wegfall des E-Klasse-Taxis geht ein Stück automobiler Geschichte. Aber vielleicht ist die Zeit längst reif.

 
Ein Gedanke zu „Skandal! Mercedes schafft die wichtigste E-Klasse ab! Skandal?“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert